Chance und Risiko
Goldgräberstimmung: Was hinter dem Hype der Kryptowährungen steckt
Die große Frage: Ist das Geld – oder kann das weg?
© Quelle: Getty Images
Stromimpulse im Computer können ungemein gewinnbringend sein – wenn sie als sogenannte Kryptowährungen fungieren. Im Internet herrscht Goldgräberstimmung – Betrug inklusive, wie der Crash der FTX-Börse zeigt.
Hannover. Es ist nur Strom. Er bewegt keinen Motor, lässt keine Lampe leuchten, überträgt weder Sprache noch Text noch Bilder. Selten war elektrischer Strom von weniger Nutzen. Aber wenn er die richtigen Signale transportiert, ist es ein Bitcoin und 20.000 Dollar wert.
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Wir tun uns schwer mit dem Gedanken, dass man so Wert erzeugen kann. Plötzlich gibt es Kryptowährungen, Kryptokunst und Kryptoverträge. Manchmal bricht eine Kryptobörse zusammen und hinterlässt Milliardenschäden – in Dollar, nicht Krypto. Wer das K‑Wort googelt, bekommt übrigens als häufig gestellte Frage vorgeschlagen: „Was kostet ein Krypto?“ Kann man so nicht sagen, weil es den gar nicht gibt. Es ist alles kryptisch.
Deshalb musste der Bitcoin erst einmal greifbar werden. Kaum war er in der Welt, gab es Bilder von Bitcoin-Münzen – ökonomisch komplett sinnlos, denn sein Wert besteht nun einmal allein in Bits und Bytes. Aber irgendwo muss der Geist wohl Halt finden. Also erdachte man Münzen mit einem dollarartig gestalteten B – zuerst mit Photoshop im Computer, dann sogar real.
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Sie kosten ein Bruchteil des echten Bitcoins, denn ein paar Gramm Gold, Silber oder Kupfer sind viel weniger wert als Stromimpulse in einem Computer. Die Verhältnisse drehen sich um: Hier ist der virtuelle Wert real, die greifbare Münze eine billige Illusion.
Vor Gericht: Sam Bankman-Fried (Mitte), Gründer der FTX-Börse, ist wegen Finanzbetrugs und Geldwäsche angeklagt.
© Quelle: IMAGO/Cover-Images
Denn es geht nicht um Rohstoffe, nicht um Wiegen und Anfassen. Schon lange nicht mehr. Auch die Dollar oder Euro, die man auf Internetplattformen gegen Bitcoin eintauschen kann, sind zunächst nur eine Zahl im Computer oder auf einem Papierschein. Zur Währung adelt sie allein die Garantie eines Staates oder einer Notenbank, sie als Zahlungsmittel zu akzeptieren und ihre Menge in Grenzen zu halten.
Traditionalisten mögen einwenden, dass das zu Zeiten des seligen Goldstandards noch anders war. Da habe hinter dem Papier ein realer Wert gestanden. Wirklich? Auch Gold hat kaum praktischen Nutzen, ist nicht produktiv. Man kratze es aus dem Boden, um es dann wieder in Safes zu vergraben und zu bewachen, lästerte Investorenlegende Warren Buffett. „Wenn uns Außerirdische dabei beobachten, es käme ihnen reichlich seltsam vor.“
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Kontrolle in der Blockchain soll Manipulationen verhindern
Denn sie kennen die jahrhundertealte, kulturübergreifende Vereinbarung der Menschen nicht: Gold ist wertvoll, weil es schön glänzt und nicht beliebig vermehrbar ist. So eine Vereinbarung war für Digitales schwer zu treffen: Was aus Bits und Bytes besteht, ist erst einmal beliebig kopierbar. Mehr noch: Die Dateien sind dann identisch, quasi geklont. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen, um ihnen einen Wert beizumessen, denn der setzt begrenzte Verfügbarkeit und klare Eigentumsverhältnisse voraus. Was jeder in beliebiger Menge haben kann, besitzt vielleicht Nutz-, aber keinen Geldwert.
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Das hat zum Beispiel der Bitcoin geändert. Sein bis heute unbekannter Erfinder mit dem Pseudonym Satoshi Nakamoto hat ihn so programmiert, dass es nur maximal 21 Millionen Einheiten geben soll. Und deren Kontrolle in der sogenannten Blockchain soll Manipulationen unmöglich machen. Eine wachsende Digitalgemeinde beschloss, solche Dateien als Tauschmittel und zur Wertaufbewahrung zu akzeptieren.
Durch Kryptotechnologie begrenzt verfügbar, vor Fälschung geschützt und von einer nennenswerten Zahl akzeptiert – Bitcoin wurde eine „Währung“ für diesen begrenzten Kreis. Inzwischen gibt es Tausende solcher „Währungen“.
Man kann damit bei Onlinehändlern Waren bestellen, an Börsen Digitalgeld in traditionelle Währungen tauschen oder anderen Kryptoanhängern Kredit geben – der Schritt zur Geldanlage. Wer mit Bitcoin allerdings seine Steuern bezahlen will, könnte genauso gut Außerirdischen Gold anbieten.
Denn mit wenigen Ausnahmen akzeptieren Staaten keine Kryptowährungen als Zahlungsmittel. Noch nicht: Natürlich können Notenbanken die Technologie auch für das von ihnen kontrollierte Geld nutzen – über einen „digitalen Euro“ wird nachgedacht.
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Wilde Zeiten: Im Netz herrscht Goldgräberstimmung – trotz des Crashs der FTX-Börse.
© Quelle: IMAGO/Zoonar
Der Fantasie sind wenig Grenzen gesetzt. Das Prinzip funktioniert überall, wo Echtheit und Eigentum im Digitalen eine Rolle spielen. Bilder und Musik, Besitzurkunden und Verträge, Patientenakten und Lieferscheine, Figuren im Videospiel und Wertpapiere an der Börse, Tauschwährungen und andere Vermögenswerte – dank Kryptotechnologie kann eine Datei identifiziert und zugeordnet werden. Plötzlich gibt es ein digitales Original, das man besitzen und verkaufen kann.
Kein Wunder, dass schnell Künstler die Möglichkeiten erkannten. Digitale Bilder oder Töne bekommen ihren Kryptostempel und werden damit einmalige und unveränderbare NFT – Non Fungible Token. Simple kleine Figurenbilder, im Grunde digitale Sammelkarten, machten so als „Cryptopunks“ Karriere, und Regisseur Quentin Tarantino verkaufte auf diesem Weg bisher unveröffentlichte Schnipsel seiner Filme.
Das sind die bunten Beispiele, es gibt auch die grauen: Die Herkunft von Waren lässt sich mit digitaler Signatur verfolgen; digitale Pässe bescheinigen Eigenschaften und Echtheit von Produkten; Smart Contracts führen eigenständig Vereinbarungen aus: Wenn Datei A bestimmte Bedingungen erfüllt, wird Transaktion B ausgeführt. Rein technisch sind dann weder Zwischenhändler noch Makler für die Abwicklung eines Geschäfts nötig.
Das Thema ist wie ein Eisberg: Nur der kleinere Teil ist bis jetzt sichtbar. Da ist viel mehr, aber ziemlich verschwommen unter der Wasseroberfläche. „Bitcoin ist resistent. Bitcoin ist prinzipienfest. BTC ist den Idealen des Internets verpflichtet. Ich denke, es hat die größten Chancen, die native Währung des Internets zu werden“, schwärmte Twitter-Gründer Jack Dorsey einmal. Es wird gesucht, gespielt und verworfen. Beste Bedingungen für einen Goldrausch.
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Es geht wild zu in diesem Goldrausch
Und wie immer im Goldrausch geht es wild zu. Dateien mögen einmalig und fälschungssicher sein – betrügen kann man mit ihnen wie mit altem Geld. Manchmal sogar besser, denn Fortschritt bedeutet wieder einmal, große Summen schneller zu bewegen. Und dann kommt ein Publikum hinzu, das die Technologie besser versteht als die Geschäfte, für die sie genutzt wird.
So wurde Sam Bankman-Fried zum Star. Zweifellos wird man sein Leben eines Tages verfilmen. Geboren 1992 als Sohn zweier Juraprofessoren in Stanford, hatte er mit Mitte zwanzig ein eigenes Handelsunternehmen für Kryptowerte namens FTX. 2021 war er Milliardär und sprach in schlafanzugartigen Shorts und T‑Shirts davon, die Welt zu verbessern. Vor Gericht trägt er jetzt Anzug und weißes Hemd.
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Bankman-Fried ist angeklagt wegen Finanzbetrugs und Geldwäsche. Als Kronzeugin wird wohl seine frühere Freundin Caroline Ellison aussagen, ein Mathewunderkind, das den mit FTX verwobenen Hedgefonds Alameda managte. Sie jonglierten mit Kryptomilliarden, und im Gegensatz zum Fall Wirecard kann man einigermaßen sicher sein, dass es die wirklich einmal gab: Anlegerinnen und Anleger haben das Geld eingezahlt in dem Glauben, dass es sich nahezu zwangsläufig vermehren werde. Aber wie Microsoft-Gründer Bill Gates sagte: „Wer weniger Geld hat als Elon Musk, sollte mit Bitcoin vielleicht vorsichtig sein.“
Die Jungunternehmer spekulierten mit fremdem Geld und gerieten ins Schleudern, als der Wert der Krypto-Assets fiel und Kunden ihre Einlagen zurückwollten. Ein ganz normaler Anlageskandal so weit – nur viel größer und schneller. Digitalisierung ist eben eine Effizienzmaschine.
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Der Stromverbrauch ist obszön
Der eingeschworenen Kryptogemeinde hat der FTX-Crash gerade noch gefehlt. Schon vorher rückten unangenehme Themen nach vorn. Der obszöne Stromverbrauch beim Bitcoin-„Schürfen“; das sperrige und schwer skalierbare Verfahren; die Nutzung für Geldwäsche; Kursausschläge durch läppische Tweets von Tesla-Gründer Elon Musk; Marktbeeinflussung durch Großanleger, sogenannte Krypto-Whales (Wale); rapider Wertverlust seit Herbst 2021.
Bitcoin und Konsorten haben sich nämlich mitnichten vom Rest des Finanzsystems abgekoppelt, wie ihre Fans einst hofften. Ihre extremen Kursgewinne verdankten sie nicht zuletzt der Nullzinspolitik der Notenbanken, die auch andere Spekulationsblasen förderte. Wohin nur mit dem Geld? Es gibt da doch jetzt diese Krypto-Assets! Als der Zinsanstieg begann, entwich die Luft, und manches Geschäft war keins mehr.
Jetzt sehen sich Skeptiker bestätigt. Jamie Dimon, Chef der US-Investmentbank JP Morgan und einer der schärfsten Bitcoin-Kritiker, winkte jüngst in einem CNBC-Interview nur noch müde ab. „Ich kümmere mich nicht um Bitcoin“, sagte er. „Wir sollten über etwas anderes reden.“
Das andere ist allerdings gar nicht weit weg, und ausgerechnet Dimon widerspricht allen, die das Thema Krypto grundsätzlich beerdigen wollen. Man müsse unterscheiden zwischen dem „aufgeblasenen Betrug“ namens Bitcoin und der Technologie dahinter, der Blockchain, sagt Dimon. Die sei zukunftsträchtig und vielfältig nutzbar im Geschäft mit dem Geld. Also: mit richtigem Geld.
Author: Janet Bishop
Last Updated: 1702680602
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