Seit 2009 breitet sich die Gewalt durch Terrorgruppen wie Boko Haram und die Fulani in vielen Teilen Nigerias aus. Millionen Menschen mussten fliehen, Tausende leben in Lagern. Warum gibt es so viel Fulani-Gewalt im Bundesstaat Benue?
Auf diese Frage antwortete der Priester Remigius Ihyula jetzt im Interview mit dem internationalen Hilfswerk „Kirche in Not“. Ihyula leitet die Stiftung für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden der Diözese Makurdi im Bundesstaat Benue im Südosten Nigerias. Die Region leidet besonders unter dem Terror der Fulani.
Interview
Warum gibt es so viel Fulani-Gewalt im Bundesstaat Benue?
Was als „Fulani-Gewalt“ bezeichnet wird, sollte „Fulani-Terroranschläge auf Dörfer von Unschuldigen“ genannt werden. Einige sagen, sie würden aus religiösen Gründen handeln, andere sagen, sie seien wegen des Klimawandels ins Benue-Tal gekommen. Dies stimmt aber nicht, denn den Klimawandel gibt es überall und die Menschen bringen sich nicht überall gegenseitig um. Wir gehen davon aus, dass Terroristen die Fulani-Hirten benutzen, um die örtliche Bevölkerung zu verdrängen.
Der Bundesstaat Benue gilt als der „Lebensmittelkorb Nigerias“, denn er ist landwirtschaftlich produktivste Region, die auch die Bevölkerung Nigerias und anderer Länder versorgt. Die Ernten ernähren die Familien der Landwirte, und mit dem Verkauf der Erzeugnisse können Arztkosten, Schulgebühren und andere lebenswichtige Dinge bezahlt werden.
„Die Einwohner müssen betteln“
Doch der Terrorismus raubt den Menschen diesen Reichtum: Die Einwohner müssen nun betteln, während sie früher nie betteln mussten. Die Bauern in Benue sind sehr stolz darauf, dass sie schon immer das Land bewirtschaftet und sich ohne fremde Hilfe ernährt haben. Jetzt sind sie von nicht staatlichen Organisationen und in einigen Fällen von Einzelpersonen abhängig, die ihnen Lebensmittel und einen Platz zum Leben geben. Sie können nicht in ihre Dörfer zurückkehren, um das Land zu bewirtschaften, denn wenn sie es versuchen, werden sie von Terroristen getötet.
Die Banditen zerstören also nicht nur Ernten und töten Menschen – vor allem Jungen –, sondern besetzen auch Land, sodass die Menschen nicht in ihre Heimat zurückkehren können, was zu Hunger und Not führt.
Viele tausend Menschen sind vor dem Terror der Fulani geflüchtet und leben nun in großen Lagern. ©
Wie kümmert sich die Diözese Makurdi um die vertriebenen Menschen in den Lagern?
Geistige Nahrung ist wichtig, aber wir versuchen, uns zuerst um Grundbedürfnisse zu kümmern. Die Menschen sind in großer Not: Sie brauchen Hygienemittel, Lebensmittel, Bildung und psychologische Hilfe. Viele von ihnen schicken wegen der Gewalt ihre Kinder nicht mehr zur Schule. Wir versuchen daher, in den Lagern Bildung zu vermitteln. Die Kirche ermöglicht es ihnen, die städtischen Schulen sicher zu besuchen. Wir bringen ihnen auch unternehmerische Fähigkeiten bei, damit sie, wenn sie die Schule verlassen, etwas haben, auf das sie zurückgreifen können.
„Viele Kinder gehen nicht mehr in die Schule“
Einige Lagerbewohner wurden bereits mehrfach vertrieben, andere haben miterlebt, wie ihre Angehörigen getötet wurden. Wir haben Mitarbeiter, die psychosoziale Hilfe anbieten, damit diese Menschen mit ihrem Trauma fertig werden, aber auch geistliche Hilfe. Der christliche Glaube hilft den Menschen. Wenn sie ihn nicht hätten, hätten sicher viele Menschen zu den Waffen gegriffen.
Was ist das Wichtigste für die Menschen in den Vertriebenenlagern?
Sie brauchen ihren Glauben, der die wichtigste Unterstützung ist, die wir ihnen geben können. Deshalb bittet mich der Bischof, die Lager jeden Tag zu besuchen. Mich zu sehen, gibt ihnen Hoffnung und stärkt ihren Glauben. Das Gebet des Herrn lehrt uns, diejenigen zu lieben, die uns hassen und verfolgen, und für sie zu beten. Trotz allem, was ihnen widerfahren ist, müssen die Menschen bereit sein, zu vergeben: Das ist die Botschaft, die wir ihnen verkünden, damit sie ihr Leben wieder aufbauen können.
Flüchtlingslager in Guma im Südosten Nigerias. © Kirche in Not
Was unternimmt die Regierung, um die Situation zu verbessern?
Wir beten dafür, dass Gott uns unparteiische Führungskräfte schenkt, die den aus ihren Dörfern Vertriebenen helfen, zurückzukehren und ihr Leben fortzusetzen. Alles deutet darauf hin, dass unsere derzeitigen Politiker ihrer Notlage gegenüber gleichgültig sind, weil diese Menschen nicht ihre Sprache sprechen oder denselben Glauben haben, wie sie. Es ist, als ob sie minderwertige Menschen wären und es die Regierenden daher nichts anginge, was mit ihnen geschieht.
Unser Volk wird jeden Tag massakriert, und unser Präsident kommt nicht zu uns. Wenn unser Gouverneur darüber sprechen will, lässt der Präsident ihn mit der Begründung abblitzen, es handele sich um ein uraltes Problem. Wir fragen ihn: Warum lassen Sie zu, dass Ihre Bürger getötet werden?
„Die Wahrheit muss gesagt werden“
In Nigeria werden Menschen, die sagen, dass Ungerechtigkeit bekämpft werden muss, zur Zielscheibe. Ich bin ein katholischer Priester; wenn sie mich töten, töten sie einen Menschen. Wenn sie mich angreifen, greifen sie einen Menschen an. Aber die Wahrheit muss gesagt werden.
Was sind die größten Bedürfnisse der Diözese bei der Betreuung dieser Vertriebenen?
Zum einen hoffen wir, dass wir die Finanzierung eines Traumatherapiezentrums für Menschen, die schwere Krisen erlitten haben, sicherstellen können. Außerdem brauchen wir eine Gesundheitsversorgung für sie und angemessene Einrichtungen für ihre Pflege. Wir wollen auch den Unterricht für die vertriebenen Kinder sicherstellen. Der Bischof hat bereits mit dieser Arbeit begonnen.
Der Bundesstaat Benue mit der Hauptstadt Makurdi liegt im Südosten Nigerias. Er ist flächenmäßig ungefähr so groß wie Nordrhein-Westfalen und hat knapp sechs Millionen Einwohner.
(kirche in not - sk)
Author: Mike Roberts
Last Updated: 1703187481
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